Jeder hat generell das Recht, sich gegen eine unmittelbar drohende oder tatsächliche Gewalteinwirkung zur Wehr zu setzen. Handelt es sich um eine berechtigte Notwehrhandlung – ob bei einer Schlägerei oder einer anderen Form der Körperverletzung – kann der Ausführende straffrei aus der Situation hervorgehen.
Doch nicht jede Gegenwehr ist als Notwehr anzuerkennen. Zum einen spielt die Angemessenheit der Notwehr eine große Rolle bei der Bewertung eines Einzelfalls. Zum anderen ist auch die Handlung selbst, die eine Gegenwehr provoziert, von Bedeutung für strafrechtliche Einschätzungen.
Wann handelt es sich nun nach Strafgesetzbuch (StGB) um Notwehr? Und in welchen Fällen muss eine sich selbst verteidigende Person dennoch mit einer Strafe rechnen? Dies und mehr erfahren Sie im Folgenden.
FAQ: Notwehr
Bei Notwehr handelt es sich um eine Verteidigungshandlung, die erforderlich ist, um einen rechtswidrigen Angriff – etwa in Form einer gefährlichen Körperverletzung – abzuwehren.
Grundsätzlich gilt es im Zuge der Notwehr angemessene Mittel zu wählen. Die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit kann dabei die Aufgabe der Gerichte sein. Mehr zu diesem Aspekt lesen Sie hier.
Nein, gemäß § 32 Strafgesetzbuch ist eine Handlung zur Notwehr kein rechtswidriges Verhalten. Sanktionen für eine Straftat drohen somit in der Regel nicht.
Inhaltsverzeichnis
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Wann ist es Notwehr? Definition im Strafrecht
Bei der Notwehr handelt es sich um einen sogenannten Rechtfertigungsgrund, der eine an sich strafbare Handlung unter Berücksichtigung besonderer Umstände unter Straffreiheit stellt.
Nicht immer ist jedoch eindeutig, wann eine Handlung im Strafrecht als Notwehr gelten kann. Zwar ist jedem bekannt, dass Notwehr mit Straffreiheit einhergeht, doch wann genau handelt es sich tatsächlich um eine Notwehrhandlung? Paragraph 32 Strafgesetzbuch (StGB) behandelt die strafrechtlichen Folgen einer Verteidigung und gibt dabei eine Definition des Begriffes selbst:
“Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.” (§ 32 Absatz 2 StGB)
Hierin sind bereits zwei wichtige Einschränkungen getroffen, die im Falle einer Notwehrhandlung zum Tragen kommen: die Erforderlichkeit und ein zugrunde liegender rechtswidriger Angriff.
Kommt es zu einer Auseinandersetzung, in der ein vermeintliches Opfer sich auf sein Notwehrrecht beruft, muss es in den meisten Fällen dennoch mit einer Anzeige rechnen. Erst im Beweisermittlungs- und Gerichtsverfahren wird sodann der Einzelfall dahingehend geprüft, ob Notwehr als tatsächlicher Rechtfertigungsgrund in Frage kommt. Der Nachweis gestaltet sich dabei mitunter schwierig.
Die Erforderlichkeit bei Notwehr
Erforderlich erscheint eine Verteidigung dann, wenn nur eine Gegenwehr den Angriff sicher beenden bzw. abwenden könnte. Ob die Handlung am Ende den Angriff tatsächlich beendet, ist dabei erst einmal unerheblich, solange es objektiv geeignetes Mittel wäre. Das Opfer eines Angriffs muss sich dabei nicht dafür entscheiden, statt Gegenwehr zu leisten, davonzulaufen.
Zwar kann es gerade bei körperlicher Unterlegenheit des Opfers anzuraten sein, dass dieses irgendwie versucht, sich umgehend von dem Ort des Geschehens und dem Täter zu entfernen. Eine Pflicht hierzu besteht jedoch nicht. Das Recht auf Verteidigung steht jedem zu. Entscheidet sich ein Opfer also, sich selbst körperlich gegen den ausgeführten Angriff zur Wehr zu setzen, kann ihm in aller Regel nicht zur Last gelegt werden, dass es ja stattdessen hätte wegrennen können.
Ist der Angriff durch die Gegenwehr bereits abgewendet worden, ist eine weitere Verteidigung nicht mehr erforderlich, die Notwehrlage ist beendet. Das bedeutet, dass darüber hinausgehende Handlungen durch das Opfer auch nicht mehr als Notwehr anerkannt werden können.
Wahl des relativ mildesten Mittels
Welche Rolle spiel bei einer Notwehr die Verhältnismäßigkeit? Im Rahmen der Erforderlichkeit kommt auch ein weiterer wichtiger Aspekt zum Tragen: die Angemessenheit des Mittels. Generell gilt hinsichtlich einer Notwehr aus strafrechtlicher Sicht, dass das gewählte Objekt oder die Handlung selbst angemessen erscheint. Häufig ist die Rede davon, dass das “relativ mildeste Mittel” für die Notwehr zu wählen ist.
Eine feste Definition, welcher Gegenstand oder welche Tathandlung als relativ mildeste Variante gelten können, existiert dabei nicht. Stattdessen ist in jedem Einzelfall neu zu entscheiden und zu prüfen, ob sich die Ausführung der Notwehr als angemessen zeigte.
Will der Täter etwa mit Hilfe einer Waffe eine gefährliche Körperverletzung begehen, kann das Opfer wesentlich schwerere Mittel zur Verteidigung nutzen, als im Falle einer einfachen Körperverletzung, bei der vielleicht nur Fausthiebe drohen.
Allerdings kann ein körperlich dem Täter unterlegenes Opfer auch in einem solchen Fall ein Werkzeug nutzen, um sich zu verteidigen. Hierzu zählen etwa:
- Regenschirm
- Tasche
- Schlüssel
- Deospray
- Ast
Notwehr mit Waffen – Pistole, Messer, Schlagring & Co.
Hingegen können Messer, Schuss- und Hiebwaffen nur in Ausnahmen als angemessene Mittel angesehen werden. Sind die gewählten Waffen gar illegal, macht sich auch das ursprüngliche Opfer unweigerlich strafbar.
Greift ein Opfer zu einer Waffe, um sich in einer Notwehrsituation selbst zu verteidigen, muss der Waffengebrauch in aller Regel zunächst angedroht werden. Die umgehende Anwendung, etwa das Zustechen mit einem Messer oder der Schuss in Richtung des Angreifers, ist oft nicht angemessen. Die Anzeige und Verurteilung wegen einer gefährlichen Körperverletzung können in schweren Ausnahmefällen dann auch dem ursprünglichen Opfer drohen.
Genügt die Drohung mit der Waffe nicht, darf mitunter auch ein Warnschuss erfolgen. Lässt der Täter auch dann nicht von seinem Opfer ab, darf dieses auch einen Schuss auf den Täter abgeben. Dabei sollte dieser jedoch nicht in Tötungsabsicht erfolgen, sondern vor allem auf die nicht lebenswichtigen Extremitäten gerichtet sein – Beine und Arme.
Erst wenn all diese Maßnahmen beim Schusswaffengebrauch keinen Erfolg zeigen und den tätlichen Angriff nicht beenden können, darf auch ein potentiell tödlicher Schuss – etwa in Brust, Bauch oder Kopf – abgegeben werden. Dieser stellt dann das letzte aller möglichen Mittel dar (ultima ratio).
Wann ist der Notwehrverzicht vorzuziehen?
Wie bereits angemerkt hat jeder das generelle Recht, sich selbst in einer Gefahrensituation zu verteidigen und muss dem Konflikt nicht aktiv aus dem Weg zu gehen versuchen. Wie jedoch so oft, kann es auch hierbei zahlreiche Ausnahmen geben, in denen die eingesetzte Gegenwehr in keinem Verhältnis zu dem Angriff stünde.
In diesem Fall ist das Meiden der Auseinandersetzung anzuvisieren. Doch wann sollte der Notwehrverzicht gewählt werden?
Handelt es sich bei dem Angreifer etwa um um ein Kind oder eine andere physisch unterlegene oder psychisch beeinträchtigte Person, die gleichsam schuldunfähig ist, erscheint eine Notwehr in aller Regel nicht verhältnismäßig und daher auch nicht als geboten. Auch stark alkoholisierte Personen können hierzu zählen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Bewegungen ausreichend zu koordinieren. In der Regel genügt es in solchen Fällen, Abstand herzustellen oder in irgendeiner Form beruhigend auf die Angreifer einzureden.
Eine körperliche Gegenwehr von einem körperlich überlegenen Angegriffenen würde am Ende beim Täter mehr Schaden verursachen, als es der Angriff selbst auf das ursprüngliche Opfer hätte tun können.
Immer wenn das angegriffene Rechtsgut in keinem Verhältnis steht zu einer Notwehr, ist der Verzicht auf Gegenwehr anzuraten.
Anders verhielte es sich etwa bei einem Messerangriff von einer psychisch gestörten Person. Kann der Angreifer dem Angriff nicht adäquat ausweichen, muss er auf das ihm zustehende Notwehrrecht nicht verzichten.
An dieser Stelle kommt damit ein weiteres Merkmal der Notwehr zum Tragen, das bei der Beurteilung im Strafrecht von Bedeutung ist: die Gebotenheit einer Notwehrhandlung.
Wann ist eine Notwehrhandlung geboten?
“Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.” (§ 32 Absatz 1 StGB)
Dieser Notwehrparagraph trifft eine weitere Einschränkung, die bei der Beurteilung einer vermeintlichen Notwehrlage von Bedeutung ist: die Gebotenheit. Gemeint ist dabei, dass eine Notwehrlage vorliegen muss. Handelt es sich lediglich um einen Angriff, der eher Bagatellcharakter hat oder etwa durch Kinder ausgeführt wird, ist eine Gegenwehr in aller Regel maßlos und unangemessen.
In folgenden Fällen ist eine Gebotenheit regelmäßig auszuschließen:
- Unfugabwehr: Ausgangslage ist ein Bagatellangriff, der noch im Bereich einer sozialüblichen Belästigung liegt, und damit kein wesentliches Rechtsgut verletzt; eine Notwehr bei simpler Beleidigung ist etwa kaum anzuerkennen
- Angriffe von Kindern
- Angriffe von Geisteskranken
- Angriffe von schuldunfähigen Personen (stark alkoholisierten Menschen, geistig oder körperlich beeinträchtigten Personen u.a.)
- Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und dem mit der Gegenwehr einhergehenden Rechtsverletzung
- Angriffe von Personen, die in einer engen persönlichen Beziehung zueinander stehen (Ehegatten, Eltern, Großeltern u.a.)
Aber wie bereits ersichtlich sind auch hier in Einzelfällen Ausnahmen möglich! Ebenso der Angriff eines Kindes oder Geisteskranken mit einem Messer darf wiederum abgewehrt werden und ist damit nicht rechtswidrig.
Wann kann nun aber eine Notwehrlage anzuerkennen sein?
Wann handelt es sich um eine Notwehrlage?
Nun zur zweiten wichtigen Bestimmung in § 32 Absatz 2 StGB: der zugrundeliegende rechtswidrige Angriff. Dieser ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Notwehrlage, in der ein Opfer sich auch mittels Gewaltanwendung verteidigen darf und dabei in aller Regel straffrei bleibt.
Um eine Notwehrlage zu begründen, muss ein rechtswidriger Angriff im Vorgang begriffen sein, also aktuell stattfinden. Ist die Handlung zum Beispiel schon vorüber und entfernt sich der Täter von dem Ort des Geschehens, ist eine Notwehrlage nicht mehr anzuerkennen.
Läuft der Geschädigte dann etwa dem Täter nach und verletzt diesen durch eine ihrerseits widerrechtliche Handlung, kann eine Notwehr ausgeschlossen werden. Stattdessen droht dem vermeintlichen Opfer selbst eine Anzeige wegen Körperverletzung oder Schlimmerem.
Auch eine vermutlich bald eintretende rechtswidrige Handlung kann keine Notwehrlage begründen. Vermutet eine Person also lediglich, dass eine andere ihr in naher oder ferner Zukunft Schaden zufügen will, kann sie sich dem Grunde nach bei eigenem Aktivwerden nicht auf Notwehr berufen.
Als gegenwärtig kann ein Angriff gelten, wenn er
- unmittelbar bevorsteht (Ausholen zum Schlag, Bedrohung mit einem Messer usf.)
- schon begonnen hat
- noch andauert
Notwehrfähige rechtswidrige Angriffe
Darüber hinaus muss sich der gegenwärtige Angriff auch auf bestimmte Rechtsgüter beziehen, die der Täter verletzen möchte. Hinsichtlich folgender Rechtsgüter kann die Verteidigung des Opfers als Notwehr anerkannt werden – inklusive der dazugehörigen möglichen rechtswidrigen Angriffe:
Rechtsgut | Angriffsform (Beispiele) |
---|---|
körperliche Unversehrtheit | Körperverletzung |
Leben | Totschlag Mord |
Freiheit | Entführung Menschenhandel Geiselnahme |
sexuelle Selbstbestimmung | sexueller Missbrauch sexuelle Nötigung (inkl. Vergewaltigung) |
Eigentum | Diebstahl Raub |
In den benannten Fällen kann ein gegenwärtiger Angriff eine Notwehrlage darstellen, in denen die Verteidigung auch durch Gewalt straffrei bleiben kann.
Ein Angriff muss dabei jedoch nicht zwangsläufig mit dem aktiven Handeln des Täters einhergehen, denn auch durch Unterlassen einer Handlung kann ein Straftatbestand erfüllt werden.
Zur Bedeutung des Verteidigungswillen bei Notwehr
Kommt es zu einer Situation, in der ein Betroffener sich gegen einen Angriff zur Wehr setzt, ist vor allem auch die Motivation seiner Gegenwehr von Bedeutung. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass eine Person, die in Notwehr handelt, vor allem sich selbst schützen und den Angriff schnellstmöglich beenden will.
Das Motiv der Notwehrhandlung ist damit auf sie selbst und ihre Rechtsgüter gerichtet.
Anders verhielte es sich etwa, wenn das Opfer im Zuge einer Auseinandersetzung – etwa bei einer Schlägerei – den Wunsch entwickelt, dem Kontrahenten ernsthaften Schaden zuzufügen. In diesem Falle wäre das Motiv auf einen selbst ausgeführten Angriff gelegt.
Ähnliches wäre zum Beispiel gegeben, wenn eine Person eine andere zu einem Angriff provoziert – ob verbal oder durch Gesten – um sich dann anschließend unter dem Deckmantel der Notwehr selbst widerrechtlich zu verhalten (= Notwehrprovokation). Eine Notwehr kann aufgrund der falsch ausgerichteten Motivlage dann jedoch ausgeschlossen werden. Das Maß ist bei einer vermeintlichen Notwehr gegen eine Beleidigung ebenfalls überschritten, sodass auch der provozierte Angreifer mit einer Anzeige zu rechnen hat.
Im Strafrecht lässt sich nur schwer feststellen, dass der Verteidigungswille nicht ausschlaggebendes Motiv für die Gegenwehr des Handelnden war.
Gegen wen darf sich die Notwehr richten?
Im Rahmen einer Notwehrhandlung bleibt ein Opfer zudem nur dann straffrei, wenn dessen Verteidigung sich gegen den tatsächlichen Angreifer oder Verursacher der Notwehrlage richtet. Einen unbeteiligten Dritten darf es dabei nicht ungestraft angreifen und dies als Notwehr verbuchen.
Allerdings besteht durchaus auch die Möglichkeit, dass ein unbeteiligter Dritter für das Opfer einer Körperverletzung oder anderen Straftat eintritt. In diesem Fall handelt es sich um eine besondere Form der Notwehr: die Nothilfe.
Abgrenzung der Begriffe Notwehr und Nothilfe
Die beiden benannten Begriffe werden nicht selten auch synonym verwandt. Allerdings besitzen Sie zwar ähnliche, nicht jedoch deckungsgleiche Bedeutungen. Während sich bei der Notwehr das eigentliche Opfer eines Angriffs gegen den Täter zur Wehr setzt, handelt es sich bei der Nothilfe um das Eingreifen eines bis dato unbeteiligten Dritten in die Angriffssituation.
Ein Helfer unterstützt also das Opfer gegen seinen Angreifer, ist aber erst einmal nicht selbst von dem Angriff betroffen. Bei der Nothilfe kommt die unterstützende Gegenwehr damit von Außen.
Da es sich bei der Nothilfe damit um eine besondere Form der Notwehr handelt, die jedoch einem anderen zugute kommt, nicht dem Handelnden selbst, kann synonym auch von der sogenannten Notwehrhilfe gesprochen werden. Eine eigene gesetzliche Regelung findet sich nicht.
Zur Unterscheidung von Notwehr und Notstand
Neben der Nothilfe, die eine Form der Notwehr darstellt, existiert auch noch ein weiterer strafrechtlich relevanter Begriff, der auf den ersten Blick nicht leicht vom Notwehrrecht abzugrenzen erscheint: der Notstand.
Dem Grunde nach handelt es sich auch hier um ein Tätigwerden eines vermeintlichen Opfers. Aber: Während sich die Gegenwehr bei Anwendung des Notwehrparagraphen auf einen tatsächlichen Angriff richtet, ist ein Notstand dann gegeben, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit usf. vorliegt.
Der Notstand ist also nicht gegen einen Angreifer gerichtet, sondern Rechtfertigungsgrund für die eigentlich rechtswidrige Handlung gegen Dritte, um sich selbst oder andere vor einer Gefahr zu schützen.
Wann liegt ein sogenannter Notwehrexzess vor?
Auch ein übermäßiges sich-zur-Wehr-Setzen kann straffrei bleiben. Dabei ist jedoch die jeweilige Gemütslage genauer zu betrachten, in der sich der Angegriffene befindet. Zu unterscheiden sind hinsichtlich der Affekte (Erregungszustände) folgende zwei Großgruppierungen:
- kraftlose oder schwache Affekte (asthenische): Verwirrung, Furcht, Schrecken
- kraftvolle Affekte (sthenische): Wut, Zorn, Eifersucht, Kampfeseifer usf.
Nach § 33 StGB kann eine übermäßige Notwehr auch dann noch straffrei bleiben, wenn dem Handeln des Betroffenen schwache Affekte zugrunde liegen. Sind hingegen stethische Affekte Motiv für die übermäßige Gegenwehr, ist ein Rechtfertigungsgrund, der Straffreiheit bewirkt, auf Grundlage von § 33 StGB häufig nicht mehr nachzuweisen.
Doch was meint die Notwehrüberschreitung nun genau? Im Grunde handelt es sich um einen eigentlich rechtswidrigen Vorgang wie etwa eine Körperverletzung im Affekt. Ein solcher kann zum Beispiel in folgenden Fällen erkannt werden:
- Extensiver Notwehrexzess: Obwohl der Täter aufgrund der heftigen Gegenwehr bereits von seinem Opfer abließ, hört dieses nicht auf, auch weiterhin gegen den Gefährder vorzugehen – etwa auf ihn weiter einzuschlagen.
- Intensiver Notwehrexzess: Das Opfer wählt bereits während des Angriffs unnötig scharfe Mittel für die Gegenwehr, die als nicht angemessen gelten können, da schon mildere Mittel den Angriff abwenden oder beenden könnten.
Bei einer intensiven Notwehrüberschreitung ist damit die Übertretung der die Gegenwehr generell rechtfertigenden Faktoren (Erforderlichkeit, Gebotenheit) innerhalb eines gegenwärtigen Angriffs gemeint. Bei einem extensiven Notwehrexzess hingegen handelt es sich um ein Übermaß vor oder nach Abschluss eines Angriffs.
In letzterem Fall ist die Einschätzung der Rechtfertigung auf Grundlage von § 33 StGB als Notwehr auch in der Rechtsprechung mitunter schwierig. Handelt es sich um eine Überschreitung der Notwehr bereits vor einem Angriff, so wird dem vermeintlich in Notwehr Handelnden zumeist abgesprochen, dass asthetische Affekte der Grund für den Exzess waren.
Schließt die exzessive Notwehrhandlung hingegen direkt an die Gefahrensituation an, besteht durchaus die Möglichkeit, dass das Opfer noch psychisch unter dem Eindruck der Ausnahmesituation leidet und in Furcht oder aufgrund des Schreckens nicht sofort vom Angreifer ablässt. Sind asthetisch motivierte Affekte maßgeblich anzuerkennen, kann die grundsätzlich rechtswidrige Handlung aufgrund der Bestimmungen in § 33 StGB straffrei bleiben.
In allen Fällen ist jedoch eine grundlegende Notwehrlage anzuerkennen. Anders verhält es sich hingegen bei der sogenannten Putativnotwehr.
Putativnotwehr – Tatsächlicher Angriff oder Irrungen und Wirrungen?
Das Wort steht in seiner Bedeutung dem lateinischen Begriff putare für “glauben, meinen” nahe und lässt sich vielleicht am ehesten als “vermeintliche Notwehr” übertragen.
Ein Beispiel für die Putativnotwehr
Ein Polizist kontrolliert einen Mann an einem Bahnhof, der psychisch verwirrt zu sein scheint. Beim Abtasten spürt er in einer dessen Jackentaschen einen großen Gegenstand, den er als vermeintliche Schusswaffe identifiziert. Er tritt umgehend von der verdächtigen Person zurück, richtet im Eigenschutz die Waffe gegen sie und fordert sie laut und deutlich auf, die Hände zu heben.
Der Kontrollierte jedoch stammelt Unverständliches vor sich hin, greift ruckartig in die soeben abgetastete Jackentasche und zieht einen dunklen Gegenstand daraus hervor. Im Glauben, sich selbst verteidigen zu müssen, weil die Person eine Waffe auf ihn richtet, feuert der Polizist einen Schuss ab, der die Person im Bauch trifft. Erst nachdem der getroffene, vermeintliche Gefährder schwer verwundet am Boden liegt, erkennt der Polizist, dass er in der Hand eine Spielzeugpistole hält.
Grundlegend handelte es sich in diesem Fall um eine vorsätzliche Körperverletzung – genauer eine gefährliche. Diese würde in einem anderen Fall umso schwerer wiegen, als es sich zusätzlich um eine Körperverletzung im Amt handelt.
Aber: Der Polizist ist dem Grunde nach einem Irrtum hinsichtlich der Tatumstände aufgesessen. Im Strafrecht sind hinsichtlich der Rechtsprechung nun zwei verschiedene Möglichkeiten für die Auflösung des Falles gegeben: der Erlaubnistatbestandsirrtum (§ 16 StGB) und der Verbotsirrtum (§ 17 StGB).
Bewertung als Erlaubnistatbestandsirrtum oder Verbotsirrtum?
Nach § 16 StGB kann ein Irrtum hinsichtlich der Tatumstände eine Strafmilderung erfahren oder in diesem Fall eine fahrlässige Körperverletzung begründen. Ein Tatbestandsirrtum kann insofern erkannt werden, als der Polizist von einem tatsächlichen Angriff des verwirrten Mannes ausging, der jedoch nicht stattfand – dieser hatte lediglich eine Spielzeugpistole und wollte den Beamten – wie im Nachhinein festzustellen war – lediglich darauf aufmerksam machen, dass es sich nur um ein Spielzeug seines Sohnes handelte.
Demgegenüber kann der Polizist jedoch auch straffrei ausgehen:
“Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.” (§ 17 StGB)
Da der Polizist beim Abtasten eine Waffe spürte – und es sich letztlich auch um eine solche handelte, wenn auch nur um eine Spielzeugpistole – kann ihm hier unter Umständen keine Schuld zugesprochen werden. Erkennt das Gericht jedoch an, dass er aufgrund der Prüfung des Gewichts des nicht einsehbaren Gegenstands auch wegen seiner beruflichen Kenntnisse hätte erkennen müssen, dass es sich nicht um eine echte Schusswaffe handeln könnte, kann die Strafe zumindest abgemildert werden.
Bliebe die Frage, ob er sich der potentiellen Gefahr über Gebühr hätte aussetzen müssen, um das Gewicht der Waffe zu prüfen. Letztlich obliegt es den Gerichten in einem jeden Einzelfall, die genaue Sachlage zu rekonstruieren. Sicherlich bietet das Strafgesetzbuch dabei Lösungsansätze für zahlreiche Antworten, die sich aus der Interpretation und Auslegung der verhandelnden Richter ergeben können.
Dirk L sagt
Guten Tag,
mir kommen bei dem lesen Ihres Artikels ein paar Verständnisfragen auf. Vielleicht ist es Ihnen möglich hierzu etwas zur Aufklärung beizutragen.
Ist eine Ohrfeige ein milderes Mittel als der Fausthieb oder wird hier nicht differenziert da beides waffenlose Verteidigung darstellt?
Ist die Ehre ein Rechtsgut das z.B. bei einer Beleidigung mittels Notwehr abgewendet werden kann?
Ist das Herstellen einer Fotografie oder eines Videos von einer Person ohne deren Einstimmung ein Fall in dem Notwehr denkbar wäre?
Mir ist bewusst dass Sie keine Rechtsberatung leisten, mir geht es aber ausschließlich um das bessere Verständnis ihres Artikels.
Unabhängig davon vielen Dank für die Mühe die in diesen Projekt steckt. Sie leisten eine wirklich nützliche Hilfe im Bereich der Rechtserläuterung.
Mit freundlichen Grüßen