41.901 verurteilte Straftäter verbüßten laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2020 ihre Freiheitsstrafe in deutschen Gefängnissen. Die rechtliche Stellung der Gefangenen und die Art und Weise, wie sie im Strafvollzug zu behandeln sind, regelt heute das Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Das war nicht immer so.
Bis in die 1970er Jahre gab es für den Strafvollzug gar kein Gesetz, weil damals noch die traditionelle Rechtsauffassung von einem „besonderen Gewaltverhältnis“ vorherrschte – eine Ansicht, die auf der Verfassungslehre der Monarchie des 19. Jahrhunderts beruht. Danach war die Einschränkung der Grundrechte von Inhaftierten auch ohne förmliches Gesetz erlaubt, soweit es dem Zweck des Strafvollzugs diente.
Wie das StVollzG entstand, wie der Vollzug heute funktioniert und welche Ziele er verfolgt, erläutert der folgende Ratgeber.
Inhaltsverzeichnis
FAQ: Strafvollzug
Mit dem Strafvollzug ist laut Definition die Vollziehung von gerichtlich verhängten, freiheitsentziehenden Strafen gemeint.
Das oberste Ziel des Vollzugs ist die Resozialisierung des Straftäters. Er soll dazu befähigt werden, zukünftig ein Leben in Eigenverantwortung ohne neue Straftaten zu führen. Näheres zur Resozialisierung lesen Sie in diesem Abschnitt. Eine weitere Aufgabe des Strafvollzugs ist die Sicherung der Allgemeinheit.
§ 10 StVollzG sieht den offenen und den geschlossenen Strafvollzug vor. Hier erläutern wir die beiden Varianten genauer.
Auch im Strafvollzug gilt: Keine Grundrechtseinschränkungen ohne Gesetz
1972 setzte das Bundesverfassungsgericht der oben erwähnten Rechtssauffassung, dass Grundrechtseinschränkungen zulasten von Häftlingen auch ohne förmliches Gesetz möglich seien, ein Ende. In seinem Strafgefangenen-Urteil (BVerfGE 33, 1) verlangten den Richter eine gesetzliche Grundlage für derartige Grundrechtseingriffe und forderte den Gesetzgeber auf, ein entsprechendes Gesetz zu schaffen. Das geschah mit dem seit 1977 geltenden Strafvollzugsgesetz.
In dem besagten Urteil betonen die Richter, dass die Grundrechte für jede Form staatlicher Gewalt laut Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verbindlich sind. Deshalb dürften diese Rechte auch im Strafvollzug nicht beliebig eingeschränkt werden. Hierfür bedürfe es immer eines entsprechenden Gesetzes.
Diese Rechtsgrundlage bildet nunmehr das besagte StVollzG. Dieses Strafvollzugsrecht regelt genau, wie die Strafe vollzogen wird und welche Rechte und Pflichten der Inhaftierte dabei hat. Seine rechtliche Stellung verdeutlicht § 4 StVollzG:
„(2) Der Gefangene unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihm nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sind.“
Darüber hinaus liegt die Gesetzgebungskompetenz zur Ausgestaltung des Strafvollzugs bei den einzelnen Bundesländern.
Grundrechte von Gefängnisinsassen – Beispiele aus der Rechtsprechung
- Die Unterbringung dreier Häftlinge in einer Einmann-Zelle mit Toilette ohne Trennwand verletzt deren Menschenwürde.
- Auch im Strafvollzug haben Menschen ein Recht auf freie Informationen. Sie dürfen Zeitungen und Zeitschriften beziehen, ohne dass daran besondere Voraussetzungen geknüpft sind. Nach § 68 Abs. 2 StVollzG dürfen sie dem Inhaftierten nur vorenthalten werden, wenn deren Verbreitung strafbar oder ordnungswidrig ist oder wenn die Medien das Ziel des Vollzugs oder Sicherheit und Ordnung der Vollzugsanstalt gefährden würden.
- Auch im Vollzug wird die Meinungsfreiheit nur durch gesetzliche Regelungen begrenzt, insbesondere durch §§ 185 ff. Strafgesetzbuch (Beleidigung, Verleumdung etc.) und §§ 823 ff. BGB (Schadensersatzrecht) sowie die Klage auf Unterlassung und Widerruf. Das Anhalten von Briefen mit beleidigendem Inhalt gehört jedoch nicht dazu, sondern würde gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen.
- Die Religions- und Bekenntnisfreiheit im Strafvollzug findet unter anderem in den §§ 53 ff. StVollzG Ausdruck, wonach Häftlinge einen Seelsorger auch außerhalb des Gottesdienstes beanspruchen und religiöse Veranstaltungen besuchen darf.
- Inhaftierte dürfen Gefangenenvereine gründen oder diesen beitreten. Beides darf ihnen nicht untersagt werden, es sei denn, der Zweck oder die Tätigkeit dieser Organisation steht im Widerspruch mit der Rechtsordnung. Auch Interessenvertretungen gegenüber der Anstaltsleitung sind legitim. Insoweit gilt das Grundrecht der Vereins- und Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis.
Resozialisierung im Strafvollzug
Seit 1977 dient der Strafvollzug laut § 2 StVollzG vorrangig der Resozialisierung der Inhaftierten (Vollzugsziel) und erst danach dem „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“. Die verurteilten Straftäter sollen nach dieser Vorschrift lernen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“
Genau diese Forderung stellte das Bundesverfassungsgericht 1973 in seinem berühmten Lebach-Urteil an den Strafvollzug:
“Dem Gefangenen sollen Fähigkeiten und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.”
Dies begründet das höchste Gericht wie folgt:
- Das Interesse des Täters an einer Resozialisierung ergebe sich aus seinem Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 GG (Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit).
- Das Sozialstaatsprinzip erfordere eine staatliche Fürsorge für persönlich oder gesellschaftlich benachteiligte Gruppen, zu denen auch Gefangene und Entlassene gehörten.
- Schließlich liege eine Resozialisierung auch im Interesse der Allgemeinheit, weil sie ihrem Schutz diene. Es sei ihr ureigenes Interesse, dass Täter nicht rückfällig werden und andere Menschen oder die Gemeinschaft schädigen.
Diese Zielsetzung ist deshalb so wichtig, weil der gesamte Strafvollzug danach ausgerichtet werden muss. Er muss die Grundlagen für eine solche Resozialisierung legen. Dieses Ziel gibt quasi das Programm für den Vollzug vor. Es wirkt sich sowohl auf die Rechtsstellung des Inhaftierten als auch auf die Organisation, die räumliche Gestaltung der Justizvollzugsanstalten und die personelle Struktur aus.
Die wenigsten Inhaftierten werden ihr ganzes Leben hinter Gittern verbringen. Stattdessen wird der überwiegende Teil von ihnen eines Tages wieder entlassen. Deshalb sollte der Vollzug so auf diese Menschen einwirken, dass sie später nicht wieder rückfällig werden.
Offener und geschlossener Strafvollzug
In Deutschland existieren zwei Formen des Vollzugs: der geschlossene und der offene Strafvollzug. Der überwiegende Anteil der verurteilten Straftäter befindet sich im geschlossenen Vollzug und damit rund um die Uhr hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt. Das ist die Regel, der offene Strafvollzug ist die Ausnahme.
Wie die beiden Vollzugsarten sind unterscheiden, veranschaulicht die folgende Gegenüberstellung:
Geschlossener Vollzug:
- sehr hohe Sicherheitsstandards
- bauliche und technische Sicherheitsvorkehrungen: gesicherte Türen, Fenstergitter, Gefängnismauern, Vorkehrungen gegen Fluchtversuche
- sichere Unterbringung der Gefangenen in abgesperrten Hafträumen, die nur zu bestimmten Zeiten geöffnet werden (Aufschluss)
- ständige Beaufsichtigung der Inhaftierten, sobald sie sich außerhalb ihres Haftraums bewegen
Offener Strafvollzug:
- keine oder nur wenige Vorkehrungen gegen Flucht und Entweichung
- häufig Verzicht auf Sicherheitsmaßnahmen wie Gitter und Mauern, keine verriegelten Hafträume
- Inhaftierte können sich innerhalb der Vollzugsanstalt frei bewegen
- zahlreiche Privilegien möglich: Arbeit, Freigang im Strafvollzug, Besuch bei der Familie an Wochenenden, Sport- und Freizeitangebote
§ 10 StVollzG regelt die beiden Vollzugsformen wie folgt:
„(1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde.
(2) Im Übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist.“
Demnach ist der offene Vollzug eigentlich die Regel, faktisch stellt er die Ausnahme dar, weil die Mehrheit der Straftäter eben nicht dafür geeignet ist. Weil § 10 Abs. 1 StVollzG eine Soll-Vorschrift darstellt, haben verurteilte Straftäter keinen absoluten Anspruch auf eine Unterbringung im offenen Strafvollzug.
Grundsätzlich sind nur Ersttäter für eine JVA des offenen Vollzugs geeignet. Nicht geeignet sind hingegen:
- suchtgefährdete Menschen
- Straftäter, bei denen Fluchtgefahr besteht
- Inhaftierte, die Lockerungen des Vollzugs wie Hafturlaub und Ausgang missbraucht haben
- Häftlinge, gegen die ein Strafverfahren oder ein Ausweisungs- bzw. Auslieferungsverfahren läuft.
Hinterlassen Sie einen Kommentar: