FAQ: Ermittlungsverfahren laut StPO
Das Ermittlungsverfahren bildet laut Definition nur die erste Phase eines Strafverfahrens. Es wird auch als Vorverfahren bezeichnet. Danach folgt das Zwischenverfahren und im Anschluss daran das Hauptverfahren, das im Wesentlichen aus der mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht besteht.
In diesem Verfahrensabschnitt ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft, ob ein „genügender Anlass“ zur Klageerhebung besteht, ob sich der Beschuldigte also vor dem Strafgericht verantworten muss. Damit stellt das Ermittlungsverfahren eine sehr wichtige Phase des Strafverfahrens dar, weil bereits hier wichtige Entscheidungen über den weiteren Verlauf des Verfahrens fallen. Wie ein solches Verfahren abläuft, erklären wir ab hier.
Als Beschuldigter wird eine tatverdächtige Person bezeichnet, wenn ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet wird.
Bewahren Sie einen kühlen Kopf und bleiben Sie höflich gegenüber den Polizeibeamten. Schalten Sie so früh wie möglich einen Anwalt für Strafrecht ein. Und äußern Sie sich nicht zum Tatvorwurf ohne vorherige Rücksprache mit ihm. An dieser Stelle finden Sie eine Checkliste zu Ihren Rechten, Pflichten und Verhaltensregeln.
Wie es nach dem Ermittlungsverfahren weitergeht, hängt vom jeweiligen Ermittlungsergebnis ab. Bejaht die Staatsanwaltschaft aufgrund der Beweislage einen hinreichenden Tatverdacht, so wird sie wahrscheinlich Anklage gegen den Beschuldigten ergeben. Mehr zum Abschluss des Verfahrens lesen Sie hier.
Inhaltsverzeichnis
Ermittlungsverfahren: Was ist das?
Ein Jogger entdeckt in den frühen Morgenstunden eine Leiche. Ein Juwelier erstattet Anzeige, weil jemand des Nachts in sein Geschäft eingebrochen ist. In beiden Fällen besteht die Möglichkeit einer Straftat. Sobald Polizei und Staatsanwaltschaft davon erfahren, müssen sie handeln und den Sachverhalt aufklären.
Nun beginnt die erste Phase von einem Strafverfahren – das Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft leitet diesen Verfahrensabschnitt ein, sobald sie „durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält“. So formuliert es der Gesetzgeber in § 160 Abs. 1 StPO und verpflichtet die Staatsanwaltschaft damit, „den Sachverhalt zu erforschen“ und anschließend zu entscheiden, ob sie Anklage gegen den Beschuldigten erhebt.
Voraussetzung für die Einleitung von einem Ermittlungsverfahren ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts gegenüber einem Beschuldigten. Gemäß § 152 Abs. 2 StPO genügen dafür „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“.
Die drei Phasen von einem Ermittlungsverfahren: Ablauf
Das Ermittlungsverfahren setzt sich aus drei Phasen zusammen, die wir im Folgenden genauer erklären:
- Einleitung des Ermittlungsverfahrens
- Ermittlung des Sachverhalts und Beweiserhebung
- Abschluss des Ermittlungsverfahrens
Phase 1: Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Die Ermittlungsbehörden – also Polizei und Staatsanwaltschaft – sind verpflichtet zu ermitteln, sobald sie von einer möglichen Straftat Kenntnis erlangen. Das kann zum Beispiel durch eine Strafanzeige oder einen Strafantrag erfolgen. Ist die tatverdächtige Person bekannt, so richten sich die Ermittlungen gegen sie als Beschuldigten. Anderenfalls wird das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt geführt.
Polizei und Staatsanwaltschaft können ein Ermittlungsverfahren aber auch ohne Anzeige einleiten, wenn sie auf anderem Wege vom Verdacht einer Straftat erfahren. Beobachtet ein Polizist oder Staatsanwalt in seiner Funktion eine Straftat, muss er ebenso handeln, als wenn er über Presse, Rundfunk und Fernsehen oder Social Media davon erfährt.
Zuerst müssen die Ermittlungsbehörden allerdings prüfen, ob der Sachverhalt, von dem sie erfahren haben, einen sogenannten Anfangsverdacht begründet. Das ist die Bedingung dafür, dass sie ein Ermittlungsverfahren einleiten dürfen. Dafür müssen sie insbesondere Folgendes prüfen:
- Erfüllt der fragliche Sachverhalt einen Straftatbestand?
- Gibt es ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass jemand besagte Straftat begangen hat? Hierfür reichen bloße Vermutungen nicht aus. Es müssen vielmehr konkrete Tatsachen existieren, die das Vorliegen einer Straftat zumindest möglich erscheinen lassen.
Kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass ein Anfangsverdacht besteht, so ist sie verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten – und zwar gegen jeden Tatverdächtigen. Sie hat hier keinen Ermessensspielraum. Dieses sogenannte Legalitätsprinzip ist in § 152 Abs. 2 StPO verankert.
Gut zu wissen: Dieses Legalitätsprinzip gilt jedoch nur für sogenannte Offizialdelikte, für die das Gesetz eine Strafverfolgung zwingend vorschreibt. Das trifft beispielsweise auf die gefährliche Körperverletzung zu. Bei absoluten Antragsdelikten wie dem Hausfriedensbruch darf die Staatsanwaltschaft nur tätig werden, wenn der Geschädigte einen Strafantrag stellt. Bei relativen Antragsdelikten wie der einfachen Körperverletzung leiten die Ermittlungsbehörden nur dann ein Ermittlungsverfahren ein, wenn entweder ein Strafantrag vorliegt oder wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.
Phase 2: Durchführung und Erforschung des Sachverhalts
Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts müssen Staatsanwaltschaft und Polizei den Sachverhalt zu erforschen. Gemäß § 160 Abs. 2 StPO hat die Staatsanwaltschaft dabei nicht nur die Umstände zu ermitteln, die den Beschuldigten belasten, sondern auch jene, die ihn entlasten, sowie solche Umstände, die „für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat“ wichtig sind.
Art und Umfang der Beweiserhebung und -sicherung liegen jedoch im Ermessen der Staatsanwaltschaft.
Typische Beweismittel, die im Ermittlungsverfahren erhoben werden, sind:
- Vernehmung des Beschuldigten
- Zeugenaussagen: Zeugen können z. B. etwas zum Tathergang oder begleitende Umstände sagen; hierzu zählen auch Geschädigte bzw. Tatopfer
- Sachverständige: besitzen überdurchschnittliches Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet und tragen damit zur Aufklärung des Sachverhalts bei, beispielsweise bei der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration
- Augenscheinsobjekte: sogenannte sinnlich wahrnehmbare Dinge wie die Tatwaffe, Fingerabdrücke und andere Spuren sowie das Ergebnis einer Videoüberwachung
- Urkunden: Protokolle, Berichte und andere Schriftstücke
Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen die Ermittlungsbehörden Zwangsmittel einsetzen, um Beweise zu erheben und zu sichern. Hierzu gehören beispielsweise:
- Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahme von Gegenständen
- Körperliche Untersuchung
- Observationen
- Überwachung der Telekommunikation
Je stärker diese Maßnahmen in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, desto strenger sind die Bedingungen, unter denen die Maßnahmen angeordnet werden dürfen. Häufig ist dafür eine richterliche Anordnung erforderlich.
In der Regel wird das Ermittlungsverfahren von der Polizei in eigener Verantwortung durchgeführt. Nach Abschluss der Ermittlungen übergibt sie die Akte an die Staatsanwaltschaft, die dann entscheidet, wie das Ermittlungsverfahren beendet wird.
Nur in Ausnahmefällen übernimmt der Staatsanwaltschaft selbst die Ermittlungen einschließlich der Tatortbesichtigung sowie der Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen. Das geschieht immer dann, wenn ein Tatvorwurf besonders schwerwiegend oder wichtig ist bzw. wenn es sich um einen besonders schwierigen Fall handelt.
Phase 3: Abschluss des Ermittlungsverfahrens
Nach Abschluss aller erforderlichen Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft abhängig vom Ermittlungsergebnis, ob sie das Verfahren einstellt, öffentliche Klage erhebt oder einen Strafbefehl beantragt. Das Ermittlungsverfahren kann insbesondere wie folgt enden:
- Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO, wenn eine Verurteilung des Beschuldigten unwahrscheinlich ist, z. B. weil dieser unschuldig ist oder weil die Beweise gegen ihn nicht ausreichen
- Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen nach § 153 Abs. 1 StPO, wenn „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“. Hierfür ist unter Umständen die Zustimmung des ständigen Gerichts erforderlich.
- Vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO unter Auflagen und Weisungen, beispielsweise gegen eine Schadenswiedergutmachung, Zahlung an die Staatskasse oder eine sonstige gemeinnützige Leistung. Voraussetzung hierfür ist, dass das Ermittlungsverfahren einen hinreichenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergab. Dabei darf die Straftat nur ein Vergehen sein, bei Verbrechen kommt diese Verfahrenseinstellung nicht in Betracht. Außerdem muss ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehen, das aber durch besagte Auflagen oder Weisungen kompensiert wird. zu guter Letzt darf die Schwere der Schuld einer Einstellung des Verfahrens nicht entgegenstehen.
- Erhebung einer Anklage, wenn der Beschuldigte hinreichend tatverdächtig und damit seine Verurteilung zu erwarten ist
- Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, wenn es sich um ein leichteres Vergehen handelt und wenn die Staatsanwaltschaft nach dem Ermittlungsverfahren aufgrund des Ermittlungsergebnisses eine Hauptverhandlung für nicht erforderlich hält.
Ermittlungsverfahren gegen Sie: Was tun? Checkliste
Beschuldigte können das Ermittlungsverfahren maßgeblich beeinflussen und sich auf verschiedene Weise gegen den Tatvorwurf wehren – vorausgesetzt, sie kennen ihre Rechte und nehmen diese auch wahr.
- Kontaktieren Sie einen Anwalt für Strafrecht, sobald Sie erfahren, dass gegen Sie ermittelt wird. Er hilft Ihnen, Ihre Rechte wahrzunehmen und kann unter Umständen sogar erreichen, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird.
- Bleiben Sie den Beamten gegenüber höflich und bestimmt. Aber lassen Sie sich nicht einschüchtern.
- Sie sind verpflichtet, ihre Personalien, ihre Wohnanschrift und ihren ausgeübten Beruf wahrheitsgemäß anzugeben.
- Es ist Ihr gutes Recht, die Aussage zu verweigern. Sie müssen zum Tatvorwurf nichts sagen und sollten dies ohne Rücksprache mit einem Anwalt auch nicht tun.
- Die Polizei muss Sie über Ihr Aussageverweigerungsrecht belehren und über Ihr Recht, einen Verteidiger hinzuziehen.
- Die Ermittlungsbehörden dürfen Sie nicht zur Aussage drängen oder zwingen. Sie dürfen auch keine für Sie nachteiligen Schlussfolgerungen ziehen, nur weil Sie schweigen.
- Leisten Sie keinen körperlichen Widerstand.
- Sie müssen als Beschuldigter einer polizeilichen Vorladung im Ermittlungsverfahren nicht nachkommen. Lediglich der Vorladung durch den Staatsanwalt müssen Sie Folge leisten.
- Lesen Sie alle Protokolle und Erklärungen, die Sie unterschreiben sollen, genau durch. Verweigern Sie die Unterschrift, wenn Sie etwas nicht verstehen oder mit dem Inhalt nicht einverstanden sind.
- Blutproben und DNA-Proben sollten Sie nicht freiwillig abgeben.
- Willigen Sie nicht in eine Durchsuchung ein.
- Erkennungsdienstliche Behandlungen wie die Abnahme von Fingerabdrücken müssen Sie zwar dulden. Aber diese Maßnahmen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen und nur in einem gewissen Rahmen zulässig.
- Gerichtliche Haftbefehle und Durchsuchungsanordnungen müssen Sie zunächst akzeptieren.
- Verlangen Sie eine Kopie von allen Protokollen und Beschlüssen.
- Geben Sie nie PIN-Code und Passwort für Ihr Handy weiter.
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